Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)

Ab und an, so „wünscht“ es die beste Ehefrau von allen, muss ich meine Vorratslager aufräumen und am liebsten sieht sie es wenn dann kartonweise Bausätze das Haus verlassen!
Bei einer solchen „Entrümpelungsaktion“ fiel mir dieser Kit in die Hände …
Mein Modellbaukollege und Freund Matthias Muth vom PMC Sachsen-Anhalt weiß mehr über die Hintergründe:

Minsk (MIR) war vor der FROG / NOVO Zeit auf die Produktion von sehr groben Plastikspielzeug orientiert.

Mit dem Fünfjahresplanbeschluss zur Modernisierung der Spielwarenindustrie erhielt das Werk in Minsk auch hochwertige Spritzgussautomaten vom Typ KuASY aus der DDR. Diese Spritzgussautomaten waren damals durchaus weltweit konkurrenzfähig. (Link:  https://de.wikipedia.org/wiki/Plastmaschinenwerk_Freital)

In Minsk hatte man mit den neu importierten Maschinen und den fremd hergestellten Formen Probleme. Dies traf insbesondere auf die besonders kleinen Spritzlinge, wie bei der Wildcat zu.

Die Produktion der relativ großen und massiven Spritzlinge für den Kreuzer Exeter und die recht einfach gehaltenen Spritzlinge für die DH 60 bereiteten keine Probleme.

Die Wildcat Formen wurden mangels Erfahrung auch in KuASY Maschinen mit höheren Pressdruck eingesetzt.

Dieses führte zu einer teilweisen Verformung der Spritzgussform. Insbesondere die Glasteile waren faktisch unbrauchbar geworden.

NOVO Ltd. lehnte daher eine Übernahme ab.

Die ca. 500 gefertigten Spritzlinge gingen teilweise in den Müll, bzw. wurden auf dem Schwarzmarkt zu unerhörten Preisen gehandelt.

Da alle anderen Modelle (Beaufighter, Phantom,P-38, Hellcat, Spitfire VIII/IX,Whitley, Gipsy Moth und Exeter) in Minsk ohne Problem gefertigt wurden, schenkte man der Wildcat weiter keine Beachtung. Glücklicherweise wurden die  Formen nicht verschrottet.

Mit dem Einzug der Perestroika änderte sich auch Vieles im Denken der Menschen. Der Entwicklungsingenieur Rustem Ismagilov, selbst begeisterter Modellbauer und Schöpfer der MiG-21 und Po-2 erinnerte sich der Wildcat-Formen und stellte fest, dass sie zwar beschädigt, aber reparabel waren.

Rustem Ismagilov gehörte auch zum Minsker Modellbauclub „Micromodell“.

Im Zuge  der Perestroika war es schließlich auch möglich, Genossenschaften zu gründen. So entstand beim Modellbauclub die Idee eine eigene Genossenschaft zu gründen und die Wildcat dort als Modell herauszubringen.

Passend zu sowjetischen Wirtschaft der späten achtziger Jahre wurde über ein Tausch und Bestechungsgeldverfahren der Vorgang abgewickelt und der Direktor von MIR gab die Formen frei, da er den wirklichen Wert nicht erkannte, denn seine Puppen und Spielzeughennen wurden ja gut für einen Rubel im Inland und 3 Dollar im Ausland verkauft.

Aber die Form der Wildcat war erst einmal gerettet.

Die Genossenschafter mussten eine neue Form für die Glasteile erstellen und die restliche Form restaurieren. Beide Vorhaben gelangen in kurzer Zeit mit gutem Ergebnis.

Die Genossenschaft plante erst einmal etwa 6000 Modelle herzustellen und ließ dafür extra neue Verpackungen anfertigen.

Allerdings tat sich dann ein neues Problem auf.

Die Genossenschaft konnte anfänglich nicht ausreichend Plastik Rohmaterial beschaffen und musste teilweise auf recycelten Kunststoff zurückgreifen.

Im Oktober 1988 lancierte die Genossenschaft einen Artikel in die Fliegerzeitschrift Kyrila Rodina – Flügel der Heimat. Dort wurde von Valentin Kondratiev die Wildcat ausführlich vorgestellt und war bereits für die Clubmitglieder erhältlich. Einige Exemplare gingen auch nach Georgien, wo sie kurzzeitig für den damals sehr hohen Preis von fünf Rubel verkauft wurden. (Die auch oft in Georgien erhältlichen DH Vampire aus Baku kosteten 90 Kopeken!)

1991 kam das Aus für die Genossenschaft und die Form wurde jetzt von der neugegründeten Firma ISKRA angeboten. Die genaue Stückzahl ist nicht bekannt, dürfte aber Schätzungen nach über 2000 liegen.

Im Jahr 1993 geriet auch ISKRA in Schwierigkeiten. Vorübergehend konnten Exportaufträge für Gomix, Chematic, ZTS PLastyk aus Polen und Modellhobby aus Tschechien das Überleben sichern.

Bis Ende der neunziger Jahre wurde die Wildcat dann auch von Eastern Express angeboten.

Unklar ist allerdings wo genau produziert wurde.

Seit 2000 ist das Modell aber nicht mehr angeboten worden und es ist unbekannt ob und wenn ja wo sich die Form derzeit befindet.“

So wird so mancher Bausatz, den man jahrelang „herumliegen“ hat, zum wahren Schätzchen!
Und so sieht es aus, unser Schätzchen:
ISKRA-FROG-Wildcat-6 Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)Eine überraschend stabile und praktische Verpackung mit einer mäßigen Boxart!
Und darin finden sich die Spritzgussteile aus den alten FROG-Formen:

ISKRA-FROG-Wildcat-8 Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)

ISKRA-FROG-Wildcat-10 Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)

Damals noch „Made in USSR“ (auf einem extra in die Form „eingebauten“ Schild!):
ISKRA-FROG-Wildcat-11 Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)Und hier die aus neuen Formen entstandenen transparenten Teile:
ISKRA-FROG-Wildcat-7 Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)Der Zusammenbau mittels einer anschaulichen Montageanleitung …
ISKRA-FROG-Wildcat-5 Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)… auf deren Vorderseite sogar die wesentlichen technischen Daten sowie eine Vorbildgeschichte zu lesen sind:
ISKRA-FROG-Wildcat-4 Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)Wie unten auf dem „Beipackzettel“ zu lesen ist, können zwei Markierungsvarianten verwirklicht werden:
ISKRA-FROG-Wildcat-2 Kit-Archäologie: F4F-4 Wildcat in 1:72 von ISKRA (FROG F.432)1. Eine Navy Wildcat aus dem Mai 1944 auf dem Eskortträger „Black Island“ im Nordatlantik
2. Eine Wildcat der Fleet Air Arm im Juni 1944 bei der Eröffnung der Zweiten Front, sprich der Invasion in der Normandie.

Als Modellbauer kann ich nur schreiben: Es gibt wirklich bessere Bausätze der „Uaildket“ (phonetische Umschrift);
als Bausatzsammler jedoch haben wir es hier mit einem der selteneren Schätzchen unserer kleinen Plastikwelt zu tun!

Kurzer Nachsatz: Auch wenn Academys Wildcat keine direkte Kopie des FROG-Bausatzes ist, so kann man doch zumindest von einer gehörigen „Inspiration“ durch den 1972 zuerst erschienen FROG-Kit sprechen – zu groß sind einige Übereinstimmungen!

Dr. Michael Brodhaecker, Lingen