„Kit-Archäologie“ – da komme ich meist in´s Schwärmen.
Und wenn ich dann auch gleich zwei verschiedene Ausgaben des gleichen Bausatzes in einer der vielen „Wühlkisten“ auf der IPMS-Ausstellung in Houten/NL finde, ist es um mich geschehen …
Die beiden KIts, die ich „erbeuten“ konnte in schöner Eintracht untereinander:
Auf der Rückseite der originalen FROG-Ausgabe finden wir eine sehr kurze Geschichte des historischen Vorbildes:
Auch bei der in der Sowjetunion produzierten NOVO-Variante findet sich eine kurze Geschichte.
A propos „kurze Geschichte“ – die wollen wir unseren Lesern natürlich nicht vorenthalten…
Die Historie des FROG-Bausatz dieses durch diverse Höhenrekorde bekanntgewordenen Doppeldeckers beginnt im Jahre 1964 – da erschien der Bausatz in der Reihe „The Trail Blazers“ zum ersten Mal. Unsere Wallace hat also schon 60 Jahre auf dem Buckel!
Aber wie kommt es nun zur NOVO-Auflage von 1978?
Nun – dazu möchte ich meinen Modellbaukollegen und Freund Matthias Muth zu Wort kommen lassen:
„FROG existiert nicht mehr, großer Teil der Modelle aber schon noch. Wie konnte es eigentlich so weit kommen, dass ein Hersteller so verschwindet?
Dazu müssen wir zurück bis ins Jahr 1966.
Die Umsatzzahlen von FROG sind eingebrochen. Erstmals verkauft man weniger als eine Million Bausätze. (…)
Es gilt einen Weg aus der Krise zu finden. Einerseits werden die Decals nun matt gedruckt, anderseits sucht man nach Kooperationspartnern.
Diese findet man bei AMT mit Fahrzeugen im Maßstab 1:25 und bei der in Europa unbekannten Firma HASEGAWA aus Japan.
In den Folgejahren werden viele Bausätze von diesen Firmen ins Programm genommen, die eigenen Entwicklungen auf Eis gelegt und nur noch wenige eigene Modelle neu entwickelt.
Der Erfolg stellt sich ein. 1969 werden mehr als drei Millionen Bausätze verkauft, ein Ergebnis, welches man nie wieder erreicht.
1971 begann sich HASEGAWA aus dem gemeinsamen Geschäft zurück zuziehen, da man mit A.A. Hales einen eigenen Importeur des gesamten Programms gefunden hatte.
1972 hatte FROG dann alle eigenen Formen nach Hongkong verbracht und produzierte von dort aus.
Verkaufte man 1974 noch fast zwei Millionen Bausätze, so waren es 1975 nur noch 900.000 Stück.
Dringend musste eine Lösung her, da die Konkurrenz die Situation schon aufmerksam beobachtete. […]
Im Sommer 1973 dann meldete sich plötzlich unerwarteter Besuch in Margate an.
Sollte hier der rettende Engel den Briten erschienen sein, wo sie ja erst mit der Umstellung der Verpackung für die Blaue Serie etwa eine halbe Million Pfund einsparen konnten.
Der 24. Parteitag der KPdSU 1971 legte die Direktiven zum 9. Fünfjahrplan der UdSSR von 1971 bis 1976 fest. Darin ging es um einen Ausbau der materiell- technischen Basis, der Hebung des Lebensstandards und der Verbesserung der Versorgung.
Dies sollte auch unter Einbeziehung westlicher Technologie erfolgen. Allerdings war man bedingt durch die Devisenknappheit oftmals zu Kompromissen und Tauschgeschäften gezwungen. […]
Nun war auch der sowjetischen Handelsvertretung in London die etwas prekäre Lage von FROG nicht verborgen geblieben.
Deshalb entwickelte man hier 1973 die Idee einer ähnlichen Kooperation.
Zuerst war man bei FROG eher ablehnend, da man ja seine Werte hinter den eisernen Vorhang abgeben würde.
Im Nachgang und innerhalb des Jahres 1974 hingegen wurden die Pläne konkreter.
Zwei Hindernisse gab es. FROG wollte es offiziell nicht sein, der seine Formen in die UdSSR verbringt. So wurde schon zu diesem Zeitpunkt die neue Firma NOVO gegründet:
Dunbee-Combex-Marx als Mutterkonzern von ROVEX (der Handelsmarke von FROG) gründete die neue Firma NOVO.
NOVO, also die später mit den blauen Kartons, war immer eine 100% britische Firma.
Zwar leitete sich der Firmenname etwas ungeschickt vom sowjetischen Handelspartner ab, aber es waren eben halt Geschäftsleute. […] NOVO trat als Marke nicht auf, war aber eine 100% Tochter von FROG und wickelte das Geschäft dann ab. […] So ging es dann ja bekanntlich bis Anfang 1977 noch gut weiter, bis dann der finanzielle Kollaps FROG vom Markt verschwinden ließ.“
So erklärt sich also unsere Westland Wallace in der blauen NOVO-Verpackung von 1978:
Der Inhalt der klappbaren Schachtel …
… ist Nostalgie pur:
Ebenso wie die Montageanleitung …
… auf deren Rückseite wir Tips zum Bau finden:
Ich fange mal mit den beiden jeweils durchgehenden Tragflächen an:
Die Unterseiten sind dann der reinste Horror:
Solch prominente Auswerfermarken habe ich selten gesehen! Da wird der Entschluss, die Wallace aus der Schachtel zu bauen, doch arg in´s Wanken gebracht: Wie soll man solche gewaltigen Fehlstellen vernünftig bearbeiten?
DIe Zeit wird es zeigen – oder auch nicht …
Die Rumpfhälften dagegen sehen wieder ganz akzeptabel aus:
Gelegentliche Sinkstellen sollten beherrschbar sein:
Innen – nichts!
Ausser den Platzierungshilfen für die beiden „Cockpits“:
Selbige werden von zwei die Götter anbetenden Humanoiden belebt …
… die auf interessanten Fauteuils Platz nehmen können:
Das war´s dann schon im Innenraum – aber für die 1960er Jahre war das Bausatzcockpit schon ganz ordentlich detailliert!
Der Rest der Bauteile verrät dann ihr Alter:
Der damals von uns so geliebte Display-Ständer:
Bei den transparenten Teilen ging leider die Windschutzscheibe des Piloten verloren – und zwar bei beiden Kits! Diese Teile löseten sich recht einfach vom Gussast und weil sie so winzig waren, gingen sie wohl im Laufe der Zeit schnell „flöten“.
Die Abdeckung des Co-Piloten verrät uns jedoch, wie dick diese „Klarsichtteile“ sind:
Glücklicherweise besteht der transparente Anteil nur aus vier Bullaugen und vier kleinen Sichtfenstern – der Rest wird in Außenfarbe lackiert!
Nach selbiger Lackierung war das Aufbringen der „Aufkleber“ an der Reihe – diese sinbd natürlich längst vergilbt:
Der Hinweis auf die „Abt. X“ bei FROG …
… darf ebensowenig fehlen wie der dezente Vermerk der noch erhältlichen FROG-Bausätze:
Das war schon eine ganze Menge! Und angesichts der schieren Anzahl (zu denen ja noch die Airfix-Kits kamen!) wird auch klar, warum sich der Maßstab 1:72 (zumindest bei Flugzeugen) in Europa so dominant durchsetzen konnte!
Dr. Michael Brodhaecker, Lingen