Nachdem Revell den „60th Anniversary Ford Mustang“ auf den Markt gebracht haben, bescheren sie uns Modellbauern (oder Sammlern?) zum Jubiläum des Trabant ebenfalls eine „60 Jahre Exklusiv Edition“ …
Warum Sammler? Nun ja….der Bausatz erscheint in einem nahezu massiven Karton, dem ein Buch aus dem Motorbuch Verlag „Die Geschichte des Legendären Trabant“ beiliegt:
Die Rückseite weist dieses Mal nur auf das beiliegende Buch und die benötigten Farben hin:
Bevor ich zum Bausatz komme, habe ich überlegt, was ich zur Geschichte des Trabant nahe bringen sollte. Ich erinnere mich noch sehr gut, als wir kurz nach der Wende unseren Onkel „drüben“ besuchten und wie oft wir auf den Autobahnen die Trabbis beim waghalsigen Versuch, einen LKW zu überholen auf der linken Spur der Autobahn angetroffen habe. Ich selbst habe aber nie gehupt – weder mit Licht, noch mit Signalhorn! Im Gegenteil, man fuhr nicht so rücksichtslos wie zur heutigen Zeit und die Bremsen funktionierten zuverlässig 😊. Ich fand sie irgendwie niedlich mit ihrem einmaligen Motorgeräusch. Und als ich dann mit Onkels Trabbi fahren durfte, wären wir fast aus der Kurve geflogen. Leider, schon zu der kurzen Zeit nach der Wende wurden die Trabanten achtlos weggeworfen.
Ich habe in das Buch rein gelesen und möchte die Worte des Autors Frank Rönicke aus dem Vorwort aufgreifen:
„[…]2022 feiert das Kultfahrzeug schlechthin, der Trabant seinen 65. Geburtstag. […] Und vor 60 Jahren, anlässlich der Leipziger Frühlingsmesse, feierte der Trabant 601 im März 1964 seine Prämie. Im Juni des gleichen Jahres begann die Serienproduktion. Knapp 40 000 Exemplare des mehr als drei Millionen Mal gebauten DDR-Klassikers rollen angeblich noch heute auf den Straßen in aller Welt, die meisten davon selbstverständlich in den neuen Bundesländern. Denn dort war er bliebt, anfangs jedenfalls; […]…den eingeschränkten Produktionskapazitäten stand eine stetig zunehmende Nachfrage gegenüber, die Bestellungen und Wartezeiten groteske Formen annehmen ließ.
Der Mangel bescherte den ostdeutschen Automobilen Lebenszeiten (Anmerkung von mir: Wartezeiten!) von 20 und mehr Jahren. […]“
Die Wartezeit war mir bekannt, denn ich fragte damals unseren Onkel, ob man denn einen Wagen hat bestellen müssen, wenn ein Kind geboren wurde und es zum 18ten Geburtstag dann sein eigenes Auto empfangen konnte. Rein rechnerisch zutreffend.
Wer mehr über die Geschichte des Trabant lesen möchte, dem lege ich einschlägige Literatur nahe. In diesem Buch wird über 80 Seiten ein schöner Abriß der Zwickau-Werke, der Entwicklung des Trabant bis zum 4-Takter und auch seine technischen Daten als Serienmodell oder auch als „Rennpappe“ behandelt. Jawohl, Rennpappe. Er war auch im Rennsport aktiv, was ihm Revell mit dem Bausatz RS 600 Rennpappe (# 07305) im Jahr 1995 widmete.
Ein letztes Kapitel widmet das Buch der Geschichte des Trabant-Bausatzes bei Revell. In nur 4 Monaten(!) hatten sie den Auftrag, nach dem Mauerfall im September 1989 ein entsprechendes Modell auf die Beine zu stellen und auf der Spielwarenmesse 1990 zu präsentieren! Mit dem Trabant 601 S „Trabbi“ (# 7334) war dies auch geschafft. Und just den Bausatz kaufte ich damals. Das fertige Produkt habe ich für dieses Review aus der Versenkung geholt und ungeschminkt abgelichtet:
Dieser Bausatz wurde als „Go Trabi go“ (# 7344) und „Rennpappe“ (# 07305) wiederaufgelegt. Nach der dritten Wiederauflage erschien dann die jetzt vorliegende, komplette Neukonstruktion („wie ein Tamiya Bausatz“) des Trabant zum Jubiläum des „20 Jahre Mauerfall“ 1989 mit der gleichnamigen Bausatznummer # 01989! Es folgten weitere neun Auflagen, von denen ich jedoch nur die Sondermodelle herausheben möchte:
25- und 30-Jahre Mauerfall (# 0214 und # 07619), Special Edition gold platet 2019 (# 95005) und „60 Years of Trabant“ in 2017.
Moment! 2017 schon 60 Jahre Trabant und jetzt wieder? Das machte mich kurz stutzig und ein Blick in die Geschichte des Trabant:
2017 minus 60 Jahre ergibt 1957. Das Jahr, in dem der Trabant P50 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Der P50 ist der Vorgänger des 601.
2024 minus 60 Jahre = 1964. Da wurde der Trabant 601 in Serie produziert.
Das Ende des Buches, des Kapitel des Bausatzes, läßt die Vielfalt der Wiederauflagen erahnen:
Jetzt komme ich endlich zum vorliegenden Bausatz. Was erwartet uns, wenn wir den Bausatz ausschütteln?
Ausschütteln tun wir heute nicht, sondern elegant den Deckel hochklappen, das Buch auf die Seite legen und die Bausatzteile entnehmen.
Mich wundert, dass die Karosserie unverpackt drin lag. Revell gibt uns 134 Bauteile an (nice to know: der alte Trabbi hatte 90 Teile). Sie sind verteilt auf sechs grauen Gießästen und einer für Klarteile. Dazu sind die Reifen aus Gummi separat verpackt. Bauanleitung und Decals selbstverständlich, ein Buch wie eingangs erwähnt krönt die Sonderausgabe.
Die Karosserie ist trotz der zehnten Wiederauflage noch einwandfrei. Ich mag dieses graue Plastik viel mehr als die Chinaware aus weißem, dünn wirkendem Material. Das Graue wirkt sehr robust und lässt sich bestens bearbeiten:
Die Spritzlinge sind ebenfalls von sehr guter Qualität. Ich habe den Eindruck, dass es Revell kann, sich um die Formen zu kümmern! Ich denke nur an die zweite(!) Auflage des Corrado, der eine Katastrophe ist…es geht doch!
Näher betrachtet, wissen die Bauteile auch in den Details zu gefallen und es zeigt sich die sehr gute Qualität. Die Bauteile sind scharf, nicht ausgewaschen und von guter Detailierung:
Die Haube hat minimale Auswerfermarken an der Stelle der Haubenscharniere, was mich jetzt nicht sonderlich stört:
Bei den Felgen liegt ein Ersatzrad bei, das auf die Nabe und Radschrauben verzichtet 😉
Nur ein minimaler Grat an einem der Schraubenlöcher ist verzeihbar. Die Türpappen sind ebenfalls tadellos!
Was mich ein wenig skeptisch macht sind die starken Spritzübergänge auf der Heckklappe. Sie sind etwas eingefallen und lassen eine Nacharbeit erahnen:
Die Klarteile sind auch bei näherer Betrachtung ohne Beanstandung. Hier sind die Angüsse quasi so klein wie nötig, so dass ich einen Sprung in den Klarteilen beim abzwicken nicht befürchten muss:
Die Reifen sind schön weich, verfügen über gutes Profil sowie – hurra! – Reifenaufschriften! Weich müssen sie sein, denn sie wollen bei der Montage über die Felgen gezogen werden:
Bei den Decals lässt sich die Qualität nicht anders zu erwarten als ausgezeichnet beziffern. Das hat Revell seit längerem sehr gut im Griff:
Da der Trabant eher spartanisch ausgestattet war, finden wir auch mehr Kennzeichen als sonstiges Bimbammborium. Tacho, Radio, Schriftzug und Embleme:
Die Authentität der Kennzeichen habe ich dieses Mal nicht recherchiert. Auffällig nur das „TG 86-42“, dass ich im Buch wieder gefunden habe:
Zu dem Kennzeichen möchte ich nur anmerken, dass dies das „Prospekt“-Fahrzeug war, das bei der Präsentation verwendet wurde. Es zeigt das Vorserienmodell des 601er. Das möchte ich nicht direkt kritisieren, dass hier eine Abänderung des Bausatzes, zumindest als Option die Kirsche auf der Torte wäre. Anderer Grill, Felgen und Spiegel für die Optik – das wäre was.
Abschließend noch die die Bauanleitung:
In guter Manier und mittlerweile mehr als daran gewöhnt, liegt sie uns in Farbe und Großformatig vor. Wie üblich beginnt der Bau auf der neunten Seite. Zuvor das schöne Deckblatt, Zeichensprache, Farbhinweise (20 stück!) diesmal ohne Mischungen, und Bauteileübersicht – wie immer halt:
Die Bauanleitung leitet uns unmissverständlich über 48 Baustufen zum vollendeten Modell. Es gibt keine Auffälligkeiten, Zwickmühlen oder fragliche Schritte. Alles verständlich und gut durchdacht:
Ein Kritikpünktchen sind für mich die anzubringenden Zierleisten in Baustufe 44. Habe ich die erfolgreich ohne Beschädigung aus den Gießast entfernt und entgratet, darf ich sie Silber und mit schwarzer Gummileiste bemalen. Herausforderung angenommen! Hätte man das anders lösen können? Vielleicht …
Mein Fazit und abschließende Worte
Der Bausatz an sich ist in sehr guter Form. Ich habe wirklich nur minimale Gießgrate erkennen können. Manche Fischhäute sind so minimal und haben den Begriff fast nicht verdient. Zumal sitzen sie an Stellen, die man ohne großen Aufwand entfernen kann.
Bei dem Bausatz hat Revell gezeigt, dass sie sehr gut in der Lage sind, Gießformen auf Vordermann zu halten. Er ist sehr gut detailliert, ohne Verwaschungen – einfach „wie neu“.
Das Einzige Manko ist die Kofferraumklappe, die mit Nacharbeit für ein ebenes Finish aufwartet.
Für mich stellt sich grundsätzlich die Frage, ob ich diesen Bausatz überhaupt bauen würde oder stattdessen (völlig untypisch für mich) als Sammlerobjekt in die Kiste legen würde. Aus meiner Sicht ist diese Ausgabe schon als Sammlerobjekt entworfen worden. Zu viele Jubiläums-Kits in der Ahnenreihe des Trabant stimmen mich da bedenklich, ob sie überhaupt gebaut werden.
Es gibt sicherlich den ein oder anderen Bausatz, den ich zum Bauen hernehmen würde.
Man muss nur darauf achten, dass man diese aktuellere, Neuentwicklung abgreift und nicht eine der ersten drei Auflagen. Das ist alles!
Viel Spaß mit dem Bau dieses Kulturgutes!
Erhältlich bei Modellbau König.
Dominik Weitzer, Modellbaustammtisch Recklinghause