Wer mit wachen Augen durch diverse Ausstellungen wandelt, kann das eine oder andere „Schätzchen“ aus den „Bück-Kartons“ unter den Ausstellungstischen hervorziehen – so ergeht es mir (leider) immer wieder und auch die diesjährige EuroModelExpo blieb da keine Ausnahme …
Diesmal wurden zwei Ausgaben der Bristol 138A von FROG/NOVO meine „Beute“ – und dank der Aufmerksamkeit einer meiner Clubkollegen aus Lingen kann ich nun sogar eine dritte Version dieses Bausatzes mein Eigen nennen:
Doch der Reihe nach – und deshalb fange ich mit einer kurzen (versprochen!) Geschichte der Bristol 138 an:
In den 1930er Jahren war es en vogue, mit Einzelexemplaren Rekorde aufzustellen und somit nicht nur Prestige zu erringen, sondern auch die Herstellerfirmen in das Bewusstsein des Militärs und ziviler Anwender zu bringen.
Auch die Bristol Aeroplane Company hatte ein Interesse daran, den Namen durch diverse Rekorde bekannt zu machen bzw. für weitere Produkte zu werben.
Mit der Bristol 138 sollte zu diesem Zweck der Höhenweltrekord nach Großbritannien geholt werden – und so kam es ab November 1933 zur Konstruktion der Bristol Type 138, einem höhenrekordtauglichen Einsitzer mit Einziehfahrwerk. Allerdings war das Interesse des britischen Luftfahrtministeriums eher gering – die Hochgeschwindigkeitsflugzeuge der Schneider-Trophy verhießen einfach mehr Prestige! Das änderte sich, als die Italiener 1934 den Höhenrekord aufstellten – und somit der Hauptwidersacher bei der Schneider-Trophy wieder einmal die Nase vorne hatte!
Im Juni 1934 konnte dann Bristol mit der veränderte Type 138 A, nun mit festem Fahrwerk, auf die Spezifikation 2/34 des Luftfahrtministeriums reagieren:
Zu Jahresbeginn 1936 war die Bristol 138A fertiggestellt und hatte ihren Erstflug am 11. Mai diesen Jahres.
Um soviel als möglich an Gewicht zu sparen, war die Type 138A mit einem Stahlrohrgerüst versehen, auf das Sperrholzbeplankung aufgeleimt wurde. Aus diesem Grund verzichtete man bei Bristol auch auf das ursprüngliche Einziehfahrwerk der Type 138 und stattete die Rekordmaschine mit festem Fahrwerk aus – es ging ja darum, Höhe und nicht Geschwindigkeit zu erreichen!
Die Maschine verzichtete auf ein abgedichtetes höhentaugliches Cockpit – stattdessen musste der Pilot einen Druckanzug mit speziell hierfür entwickelten Helm tragen.
Die Tests mit dem Flugzeug und vor allem die Erprobung des Druckanzuges
Im September 1936 gelang es, den Höhenweltrekord auf 15.230 Meter zu erhöhen – doch schon kurze Zeit später erreichten die Italiener einen neuen Rekord von 15.656 Metern!
Am 30. Juni 1937 erreichte die Bristol 138A mit M.J. Adam am Steuer in einem 2¼ Stunden dauernden Flug 16.440 Meter Höhe und sicherte somit erneut den Weltrekord für Großbritannien.
Solche Rekorde widerlegen vielleicht zu einem Teil die Annahme, dass der Krieg der Vater aller Neuerungen sei – manchmal ist es eben auch der menschliche Drang nach „Höher-Weiter-Schneller“ …
Der Bausatz im Maßstab 1:72 erschien zum allerersten Mal 1964 unter der Nummer F 165 bei FROG in der (mir vorliegenden) „Trail Blazers“-Ausgabe:
Die zweite mir vorliegende Version ist schon im NOVO-Umkarton von 1977:
Und der dritte Bausatz entstammt dann der innersowjetischen Produktion durch den Hersteller Ogonjok (Moskau) in den 1980er Jahren:
Der Inhalt ist überall der gleiche:
Allerdings muss man schreiben, dass die Spritzgussqualität im Laufe der Jahre ziemlich abnahm – zu BEginn waren zum Beispiel die beiden Rumpfhälften zwar mit erhabenen Strukturen versehen, aber gänzlich ohne Sinkstellen. Gegen Ende der Produktion hat sich das jedoch geändert …
Hier sieht man deutlich die Sinkstellen:
Und hier wird deutlich, das sie von Materialeinsinkungen bei den Passstiften herrühren:
Bei den Tragfläüchen das gleiche Bild:
Sinkstellen, wo auf der Innenseite Passstifte platziert sind:
Die beiden Spritzlinge mit den Tragflächenhälften und den Kleinteilen:
Die Teile zeigen deutlich die Produktionsstandards der 1960er Jahre:
Ganz grauselig – der Pilot im Druckanzug:
Und im Gegensatz zur guten Kanzel von 1964 zeigt sich die Ogonjok-Produktion der 1980er Jahre nicht mehr dazu in der Lage, eine ordentliche Kanzel zu spritzen:
Vermutlich war die Form schon arg mitgenommen:
Die Bauanleitung änderte sich im Laufe der Zeit natürlich mehrfach – hier die letzte mir vorliegende Anleitung aus Moskau (innersowjetische Produktion):
Mit dem (hier originalen FROG-) Decal …… lässt sich die einzige gebaute Bristol 138 dekorieren:
Mit dieser kleinen Bausatzvorstellung hoffe ich, Fans antiker „Schätzchen“ ein wenig Appetit auf mehr gemacht zu haben:
Wer mit offenen Augen durch Modellbauausstellung wandelt, kann nämlich den einen oder anderen „Kit-archäologischen“ Schatz heben und meist für wenig Geld erwerben – alleine schon wegen des Nostalgiefaktors lohnt es sich!
Dr. Michael Brodhaecker, Lingen