Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038

Ein Me 262 mit Propeller, die es so wirklich gab? Ja! Dank High Planes Models aus Australien können wir mit etwas Eigeninitiative den ersten Prototypen des legendären Düsenjägers bauen …
Ein kleiner Ausflug in die Geschichte

Am 18.04.1941 um 13.40 Uhr hob die Me262 V1 mit der Kennung PC+UA zum ersten Mal ab. Sie flog zunächst mit einem Jumo 210 G Kolbenmotor mit 640 PS, da die Strahltriebwerke noch nicht zur Verfügung standen. Mit ihr wurde die Aerodynamik des Designs erprobt.

Die V1 war die einzige Me 262 mit Kolbenmotor und unterschied sich auch sonst in vielen Bereichen von der späteren Serienversion: Der Bug mit Motor und Zweiblatt-Propeller, die Cockpitverglasung mit Rippen, das Spornrad, die andere Tragflächenform und die Position des Fahrwerks weiter vorn sind die auffälligsten Merkmale. Ein einfacher Umbau aus einer Serien-Me ist also nicht wirklich möglich.

Am Anfang, ohne Strahltriebwerke, war die V1 in Naturmetall mit verschiedenen Schattierungen. Will man diesen Zustand bauen, muss die Kamera („Bobbel“ an der Spitze des Seitenleitwerks) abgeschliffen werden. Sie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden.

Zusammen mit den später angebauten BMW TL.3302-Triebwerken erhielt sie ein Tarnschema aus RLM 74, 75 und 76. Die Markierungen blieben unverändert. Der Propellerantrieb blieb trotz der Strahltriebwerke erhalten. Die BMW-Triebwerke waren noch sehr unzuverlässig. Diese Konfiguration flog am 25.03.1942 zum ersten Mal.

Die Strahltriebwerke wurden nach einem Unfall wieder entfernt. Ab da kam auch die oben erwähnte Kamera hinzu. Mit diesem Bausatz können wir alle drei oben genannten Bauzustände der V1 bauen.

Später bekam die V1 Jumo 004A-1-Triebwerke und eine Bugbewaffnung anstelle des Motors, bis sie schließlich bei Bombenangriffen zerstört wurde.

Was ist in der Schachtel?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Short-run-Bausatz aus dem Jahre 1998 ist nichts für „modellbauerische Warmduscher“. Um ein schönes Modell daraus zu machen ist einiges zu tun.
High-Planes-Me-262-V1-2 Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038Öffnet man den stabilen Stülpkarton findet man eine sehr einfache Bauanleitung, einen Decalbogen und zwei wiederverschließbare (!) Plastiktüten. Eine davon enthält drei hellblaue Spritzlinge mit insgesamt 38 Teilen. Die andere, kleinere Tüte enthält drei Fahrwerksteile aus Zinn-Druckguss und zwei tiefgezogene Klarsichthauben. So hat man beim Ausschneiden der Haube zwei Versuche, oder kann sich an eine geöffnete Haube wagen. Dann sollte man beim Cockpit aber einiges verbessern, wie zum Beispiel einen Steuerknüppel ergänzen.

Den Spritzlingen sieht man die Short-run-Form deutlich an.

Details in Cockpit, Fahrwerk und Triebwerken sucht man vergebens. Auch wenn einige, sehr feine Gravuren vorhanden sind, sind sie doch recht verwaschen.

Dazu kommt das bei meinem Bausatz die Form schon recht ausgelutscht war. Unzählige Fischhäute und Unsauberkeiten warten darauf entfernt zu werden. Sinkstellen oder Auswerfermarken gibt es erfreulicherweise keine.

Ich habe mal ein paar Teile der Me 262 von Revell daneben gelegt, um die Unterschiede bei den Tragflächen, der Fahrwerksposition und den BMW-Triebwerken zu zeigen.

High-Planes-Me-262-V1-9 Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038High-Planes-Me-262-V1-10 Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038

Die Druckgussteile für das Fahrwerk machen einen guten Eindruck:
High-Planes-Me-262-V1-11 Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038 Die dazugehörigen Reifen aus Kunststoff sind sogar abgeflacht und ausgebeult, um das Gewicht der Maschine darzustellen:
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Auch die tiefgezogenen Hauben machen einen guten Eindruck. Jedoch sind die Streben nur leicht angedeutet, was das Maskieren schwierig macht:
High-Planes-Me-262-V1-12 Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038Hier kann man mit angemaltem Tape oder Decal-Film neue Streben aufkleben. Das ist meist einfacher.

Die Decals sind sauber gedruckt und beschränken sich auf die wesentlichen Markierungen der V1. Im Internet ist zu lesen, dass sie nicht einfach zu verarbeiten sind:
High-Planes-Me-262-V1-13 Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038Die englische Bauanleitung ist in Textform, unterstützt von einer einfachen Explosionszeichnung. Sie enthält nicht nur Infos, wo die Teile hingehören, sondern auch einige Tipps zur Montage. Da fühlt man sich in die Zeit der 50er und 60er zurückversetzt. Auch wenige Sätze zum Original sind zu finden:
High-Planes-Me-262-V1-14 Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038 Die schwarzweiße Bemalungsanleitung ist dagegen recht gut und hilft auch dabei, wenn man sein Modell neu gravieren möchte. Allerdings wird nur auf den ersten Bauzustand in Naturmetall eingegangen. Kleine Ergänzung: Die Verstrebungen der Haube waren, wie der Propeller und der Spinner, auch in RLM 70:
High-Planes-Me-262-V1-15 Kit-Archäologie: Messerschmitt Me 262 V1 in 1:72 von High Plane Models #72038Mein Freund Stefan hat das Modell schon gebaut. Entgegen des ersten Eindrucks passen die Teile recht gut zusammen. Nur am Tragflächenansatz ist Nacharbeit erforderlich. Will man die BMW-Triebwerke anbauen ist auch einiges an Spachtelarbeit nötig. Wie weit man nacharbeiten und detaillieren will, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Der Bausatz ist inzwischen fünf mal erschienen – drei mal davon mit anderen Teilen für die V2/V3 ohne Kolbenmotor. Für ca. 20 € habe ich ihn im Internet gefunden. Ob das ein guter Preis ist, kann ich nicht sagen.

Fazit

Wer eine Me 262 V1 bauen will muss zu diesem Bausatz oder einem Vacu-Bausatz von Airmodel greifen. Andere Bausätze oder Zubehör sind mir nicht bekannt. Auf der Packung steht „For experienced modellers“ (für erfahrene Modellbauer). Angesichts der vielen Nacharbeit und der Vacu-Kanzel ein wichtiger Hinweis. Wenn man jedoch handwerkliche Herausforderungen nicht scheut – oder sogar mag – erhält man ein Stück Luftfahrtgeschichte, das sicher bei Ausstellungen auf Interesse stößt. Die Form der Maschine ist auf jeden Fall gut getroffen und baubar scheint das Modell auch zu sein. Man kann also mit etwas Fleiß etwas draus machen. Schön, dass High Planes Model diese Lücke geschlossen hat.

Jürgen Crepin, SIM Stuttgart