Denkt man an Hubschrauber, dann fallen den Meisten sofort solch illustre Namen wie Sikorsky, Bell oder Kamov ein.
Aber Flettner? Anton Flettner?
Nur ausgewiesene Experten können mit diesem Namen überhaupt etwas anfangen und so überrascht es, dass der ukrainische Hersteller MiniArt die Modellbauer mit einem funkelnagelneuen Bausatz eines Flettner-Hubschraubers überrascht – noch dazu im klassischen Militärmaßstab 1:35!
Was läge näher, als einen neugierigen Blick in den Karton zu werfen?
Aber bevor wir das tun, zunächst einige Informationen zum Vorbild – immerhin haben wires mit einem der ersten einsatzfähigen Hubschrauber überhaupt zu tun!
Anton Flettner (1885-1961) war einer derjenigen Ingenieure, die schon früh die Bedeutung des späteren Hubschraubers begriffen: Schon zu Beginn der 1930er Jahre, noch vor Sikorsky oder den Entwürfen von Focke-Achgelis, entwarf er die ersten Prototypen. Über verschiedene Stadien und Prototypen kam Flettner dann schließlich mit der Flettner 265 zum Prinzip der ineinandergreifenden Rotorblätter. Die Kriegsmarine war sehr an Hubschraubern als fliegenden Beobachtungsplattformen interessiert und vergab einen Auftrag für sechs Fl 265. Als jedoch die spätere Fl 282 Gestalt annahm, wurde der Auftrag zu dessen Gunsten storniert.
Nach dem freien Erstflug der Flettner Fl 282 V2 am 30. Oktober 1941 wurden die Testreihen mit den Prototypen weiter fortgeführt. Ab der V5 verzichtete Flettner auf die herkömmliche Cockpitverkleidung – der arme Pilot saß nun, völlig ungeschützt, „im Freien“ und durfte Aussicht und Wetter „genießen“!
Die neuartige Technik dere Flettner-Hubschrauber soll kurz erläutert werden:
Der 160 PS BraMo Sh14A Sternmotor saß in der Mitte der Fl 282, sodass der Pilot einen ungestörten Blick nach vorne und unten hatte – für einen Marineaufklärer perfekte Voraussetzungen!
Ein kleiner hölzerner Propeller (der auch am Spritzling „D“ zu finden ist) sog Kühlluft für den Motor an und über ein System von Gestängen und Getrieben wurden zwei Rotoren angetrieben, die im 45° Winkel zueinander standen und ineinander drehten.
Der Rumpf der Flettner war dreigeteilt: Ein offenes Sitzgerüst für den Flugzeugführer, ein metallbeplankter Motorraum sowie ein stoffbespanntes Heckgerüst, das das enorme Seitenruder trug. Die Ruderflächen mussten so groß gewählt werden, weil das aerodynamisch massiv ungünstige Traggerüst einen Großteil der Ruderwirkung absorbierte!
Die Fl 282 war zweifelsohne der am weitesten gediehene Helikopter, über den die Luftwaffe und Marine bis 1945 verfügen konnten: Im Grunde serienreif, war der Flettner eine extrem wetterstabile Aufklärungs- und Beobachtungsplattform und dabei relativ wartungsfrei – der Motor etwa benötigte nur alle 400 Betriebsstunden eine Generalüberholung und die übrigen Systeme konnten durchaus 100 Betriebsstunden ohne größere Wartung überstehen!
Daher wurde die Flettner 282 ab August 1942 sowohl bei der E-Stelle der Marine in Travemünde als auch im Mittelmeer eingehend erprobt.
Trotz des unzweifelhaften Erfolges der Flettner Fl 282 und obwohl immerhin ein Auftrag für 1000 Serienexemplare vergeben wurde, konnten bis Kriegsende nur 24 Prototypen fertiggestellt werden, von denen zwei (die V15 und V23) in die Hände der Westallierten fielen und einer als Kriegsbeute in die Sowjetunion kam.
Bei der V23 ist noch anzumerken, dass sie eine von zwei gebauten Zweisitzern war: Der Beobachter saß hier hinter den Motorraum mit Blick zum Heck. In dieser Konfiguration wurde die V23 mehrfach von den Alliierten geflogen. Zu erkennen sind die Zweisitzer an den links und rechts des Pilotensitzes angebrachten Treibstofftanks, da der ursprüngliche Benzinbehälter dem Beobachter weichen musste!
Die Abmessungen der Fl 282:
Länge: 6150 mm (= 175,71 mm in 1:35)
Breite: 2400 mm (= 68,57 mm in 1:35)
Rotordurchmesser: 12000 mm (= 342,85 mm in 1:35)
Vmax: 80 km/h im Vorwärts- und 30 km/h im Rückwärtsflug
Flugdauer: 2 Stunden (= 168 km)
Nach dieser -zugegeben- etwas längeren Einführung jetzt aber endlich der versprochene Blick in die Schachtel:
Beginnen wir mit Spritzling „A“ mit den Hauptteilen des Flettner-Rumpfes:
Die beiden Rumpfgerüsthälften:
Was mir hier ungemein gefällt – die tolle Wiedergabe von Metallbeplankung und Stoffbespannung!
Das „Dach“ mit den vier Klebepunkten für das Getriebe:
Gussrahmen „Ca“ mit Rumpfbauteilen, dem Sternmotor, dem Instrumentenbrett sowie vielen der filigranen Gestänge:
Ober- und Unterseite des Flettner-Hecks:
2x vorhanden – Gussrahmen „B“ mit den Zylinderteilen, Fahrwerkbereifung und den Rotorblättern:
Der Sternmotor ist derart detailliert, dass einem schwindlig wird – aber die von mir gefürchtete Montage verläuft absolut ohne Probleme – man muss sich nur die Zeit nehmen:
Rotorkopf und Steuergestänge:
Die Bereifung ist sehr schön wiedergegeben:
Gussrahmen „Be“ mit den beiden Stabilisierungsflossen und dem „Cockpitgerüst“:
Gussrahmen „C“ – hier finden sich viele für die Festigkeit des späteren Modells notwendigen Teile:
Die Teile für den Landescheinwerfer und den Instrumententräger:
Gussrahmen „Ad“ mit den Steuerflächen:
Spritzling „D“:
Auf der folgenden Übersicht kann man sehr schön die unglaublich filigranen Teile und Gestänge sehen:
Wie man unschwer erkennen kann, haben wir es bei der Montage mit einer Unzahl äußerst filigraner Rohrgerüstteile zu tun – mit den damit verbundenen heiklen Angüssen:
Hier ist der Einsatz einer Resinsäge oder des bewährten Tamiya-Seitenschneiders absolut empfehlenswert!
Und aus meiner Bauerfahrung kann ich mit Fug und Recht schreiben: Wenn man vorsichtig zu Werke geht, kann kaum etwas zu Bruch gehen!
Es sei denn …
Aber das war mein Fehler beim „handling“ – im Karton waren die Teile noch nicht kaputt! Also bitte auch beim Auspacken Vorsicht walten lassen!
Die beiden transparenten Teile für den Landescheinwerfer:
In einem separaten Kartonumschlag …
… findet sich der kleine Ätzteilbogen:
Gurtzeug, einige Versteifungsbleche sowie winzigste Anlenkungen für das Getriebe machen den ganzen Umfang aus:
Die Bauanleitung „glänzt“ leider durch das völlige Fehlen von Vorbildinfos:
Dafür gibt es eine Teileübersicht – angesichts der etwas gewöhnungsbedürftigen Spritzlingbezeichnungen („Be“, „Bd“, „C“ und „Ca“ etc.) recht praktisch:
Die eigentliche Montageanleitung:
Ich empfehle aus eigener Erfahrung mit diesem Kit, sich wirklich sklavisch an die einzelnen Bauschritte der Anleitung zu halten! Allzu große Freiheiten bei der Abfolge des Baus enden unweigerlich in problematischen Passungen!
Der kleine Bogen mit den Nassschiebebildern …
… erlaubt die Markierung von immerhin vier Bemalungsvarianten:
Die Farbangaben haben mich -ehrlich geschrieben- umgehauen: 5 (!) verschiedene Farbsysteme und zusätzlich noch die Klarnamen sowie Farbchips – was will man mehr?
Ein Fazit zu ziehen, fällt angesichts der gebotenen Qualität leicht:
Kaufen!
Unbedingt!
Wer auch nur ein entferntes Interesse an Exponaten aus der Frühzeit der Hubschrauber hat;
Wer einfach nur unglaublich viel Spaß beim Bau eines wahrhaften Exoten haben will;
Wer das Exotische liebt und als Militärmodellbauer auch gerne einmal über den Tellerrand schauen möchte.
All jenen kann ich diesen Bausatz nur wärmstens an´s Herz legen!
Ich bin echt dankbar, dass man bei MiniArt den Sprung in´s kalte Wasser gewagt hat und noch dazu mit einer konkurrenzlosen Qualität punkten kann!
Weiter so!
Und so, wie es ausschaut, wird man in Kiev die Serie wohl weiter ausbauen – zumindest ein Kolibri V-23 (die mit dem rückseitigen Beobachtersitz!) ist schon in Arbeit!
Erhältlich im online-shop von Modellbau König.
Dr. Michael Brodhaecker, Lingen